josef zotter, ich freue mich!

josef zotter, ich freue mich!


ich mag josef zotter. schon lange. ich mag seinen zugang zum leben, zur gesellschaft, zur politik (soweit er sich mir nach lektüre seiner biografie “kopfstand mit frischen fischen” sowie zahlreicher interviews erschlossen hat). ich mag, wie er in seiner manufaktur wirtschaftet und ich mag die idee des essbaren tiergartens. sehr sogar.

seit dem sommer weiß ich, dass umgekehrt josef zotter meinen beruflichen zugang zum essen mag. ich habe ihn nämlich besucht, und wir haben ziemlich lange geplaudert.

und jetzt freue ich mir einen haxen aus, dass unsere gegenseitige wertschätzung in den aktuellen na(s)richten zu papier gebracht ist. (“Die Schule des Essens”) und dass mich josef zotter bei der durchführung eines schülerInnenworkshops unterstützt, das freut mich natürlich auch sehr und dafür sage ich danke!

orf | bewusst gesund | salz | rezept suppenwürze

orf | bewusst gesund | salz | rezept suppenwürze


hier das rezept für selbst gemachte suppenwürze, die ich im beitrag zum thema salz in der orf-sendung “bewusst gesund” am 9. november 2013 zubereitet habe.

die großen vorteile der selbstgemachten suppe:
– salzgehalt selbst einstellbar
– garantiert frei von geschmacksverstärkern und anderen zusatzstoffen
– keine diskussion um hefeextrakt
– durch auswahl von gemüse, kräutern und gewürzen nie wieder einheitsgeschmack

zutaten (für 16 portionen à 250 ml = 4 liter suppe) und zubereitung:
1 bund suppengemüse (zugeputzt zirka 300 g)
2 gehäufte teelöffel salz (20 g)
pfeffer, muskat, wacholder, zwiebel, knoblauch, petersilie, liebstöckel etc. nach belieben

das geputzte, grob zerkleinerte gemüse im häcksler (mit rotierendem messer) oder im fleischwolf mit feinem aufsatz sehr fein zerkleinern, gewürze und/oder kräuter kommen am besten auch gleich dazu.
salz untermischen. dabei lässt die zuvor eher bröcklige masse wasser und wird pastös.
masse in ein sauberes glas mit schraubdeckel füllen und im kühlschrank lagern. sie hält wegen der konservierenden wirkung des salzes auf jeden fall einige wochen.

pro viertelliter suppe 1 esslöffel (20 g) würze in wasser auflösen und ein paar minuten (mit-) köcheln.

ich verwende diese würze überall dort, wo ich früher suppenwürfel eingesetzt hatte (z.b. für eintöpfe, als basis für gemüsesuppe, zum aufgießen von risotto …)

ein wort noch zum salzgehalt: ein viertelliter dieser suppe enthält 1,25 gramm salz. zum vergleich: dieselbe menge pflanzliche suppe aus suppenwürfel enthält 2,75 gramm salz. (die weltgesundheitsorganisation empfiehlt, pro tag nicht mehr als 5 gramm salz zu konsumieren.)

das hat die milch nicht verdient!

das hat die milch nicht verdient!


die milch verfolgt mich! ja, ich beschäftige mich derzeit viel damit, aber sie läuft mir auch nach. zum beispiel via facebook-postings, die teils fragend, teils provozierend an mich herangetragen werden. wie dieser beitrag in den deutschen wirtschafts nachrichten vom 28.10.2013 mit dem titel “harvard: milch von der kuh ist nicht gesund“.
ich habe mir gestern die zeit genommen, den artikel und vor allem auch die darin zitierte “studie der harvard university” ganz genau anzuschauen. es interessiert mich ja auch beruflich, und es ist nie ausgeschlossen, dass es wissenschaftliche neuigkeiten gibt, die mir entgangen sind.

der artikel ist, wie es mein geübtes auge schon beim ersten überfliegen vermutet hatte, vor allem eines: schlecht gemacht und dumm! ob absichtlich oder aus mangeldem journalistischen können kann ich nicht beurteilen, tatsache ist, dass vollkommen willkürlich und einseitig (aus sensationsgeilheit?) die kontra-argumente herausgepickt wurden.
die “studie der harvard university” ist auch gar keine studie, sondern eine übersicht über den derzeitigen informationsstand zum thema osteoporose – und noch dazu eine gute, weil ausgewogene, differenzierte. sie spart nicht mit kritik am milchkonsum bzw. den gängigen empfehlungen dafür (soweit berechtigt, weil wissenschaftlich untermauert) lässt aber auch die wissenschaftlich untermauerten pro-argumente nicht unter den tisch fallen. der am häufigsten gebrauchte satz – und zwar in der pro- wie in der kontra-argumentation – ist: “more research is needed”.

den pro-gegen-kontra-milch-kampf legen die autorInnen übrigens gleich zu beginn bei: “Which view is right? The final answers aren’t in.” das – und nur das! – ist der wissenschaftlich korrekte blick auf die empfehlungen zum milchkonsum! es ist nicht nur dumm, sondern auch eine frechheit und bisweilen sogar gefährlich, wenn die medien ihrem auftrag, ordentlich zu recherchieren, differenziert zu berichten und objektiv zu informieren, nicht gerecht werden!!!

meine 15 minutes of fame im freien radio salzkammergut

meine 15 minutes of fame im freien radio salzkammergut


am heurigen welternährungstag war ich vom interdisziplinären institut für entwicklungszusammenarbeit der johannes kepler universität linz zu einer podiumsdiskussion geladen. “good food – das geschäft mit der mangelernährung” war der titel. im anschluss daran sprach ich mit erika preisel vom freien radio salzkammergut (ja, die haben tatsächlich keine werbung – und ein sehr gutes programm!) über die ernährungssituation in österreich, mangel um überfluss, wertschätzung von lebensmitteln, geschichte und trends der ernährung, fertiggerichte, wie es gelingen könnte, übergewicht zu bekämpfen, die verantwortung des/der einzelnen versus der rahmenbedingungen, ernährungsunterricht und gut statt viel. über ein viertelstunde sendezeit habe ich bekommen! herrlich, einmal nicht nur die standardthemen anschneiden zu können, sondern zeit zu haben, ein bisschen über den tellerrand zu blicken! danke, ich freue mich!

hier der mitschnitt des interviews aus der sendung widerhall vom 22.10.2013: Mitschnitt Interview Good Food

ein zucker, zwei zucker, drei zucker …

ein zucker, zwei zucker, drei zucker …


“ich geh’ jetzt die theres fragen!” c. stapft quer durch den bus. wir sind zu zwanzigst, wir sind unsere bürogemeinschaft, und wir sind auf “betriebsausflug”.

“warum wird naturjogurt zucker zugesetzt?”
“naturjogurt wird kein zucker zugesetzt. das höre ich zum ersten mal.”
“das habe ich auch gesagt! aber die da vorne behaupten das.”
“wenn dem so wäre, müsste es auf der verpackung stehen.”
“das habe ich auch gesagt! und die da vorne behaupten, es steht auch drauf.”
“wie gesagt, ich höre das zum ersten mal und ich kann’s mir nicht vorstellen, aber ich werde mir das anschauen.”

wir steigen aus. ich gehe zu p., einem von “denen da vorne” und bitte ihn, mir zu erläutern, wo denn das stünde, dass dem naturjogurt zucker zugesetzt sei. er hält mir das display seines smartphones hin. darauf zu lesen ist das, was auch auf obigem foto zu sehen ist. mir wird einiges klar. und ich fange an zu dozieren. mittlerweile stehen wir am u-bahn-bahnsteig. ein entfernter beobachter, der mich sehr gut kennt, wird nachher zu mir sagen: “gell, ihr habt über was ernährungswissenschaftliches geredet.” warum er das wisse? “weil du plötzlich von allen umringt warst.”

der “zucker”, der auf der verpackung – genauer: in den nährwertangaben – aufscheint, kläre ich auf, ist milchzucker, kein haushaltszucker, vulgo “zucker”. denn milchzucker ist zweifachzucker, wie auch haushaltszucker, und alle zweifach- und einfachzucker (traubenzucker, fruchtzucker und andere) sind in den nährwertangaben als das zusammengefasst, was sie chemisch sind: zucker (= plural). der milchzucker ist aber nicht zugesetzt, sondern natürlicherweise in milch und milchprodukten drin. also ist dem naturjogurt kein zucker zugesetzt! meine welt ist wieder in ordnung.

nicht so jene meiner mitdiskutantInnen. wie sollte man denn jetzt bitte erkennen, dass zucker zugesetzt wäre, wenn tatsächlich welcher zugesetzt wäre. “dann stünde ‘zucker’ in irgendeiner form in der zutatenliste.” schon während ich das sage, weiß ich, was jetzt kommen wird. “aha, ‘zucker’ in der nährwerttabelle heißt haushaltszucker, milchzucker, traubenzucker etc., aber ‘zucker’ in der zutatenliste heißt zucker. und wie soll sich da wer auskennen?!” berechtigter einwand. zumal ich hier mit menschen diskutiere, die sich sehr für die thematik interessieren und beträchtliches vorwissen haben. “halbwissen” fällt im lauf der weiteren diskussion, “wir mit unserem halbwissen können die informationen oft nicht richtig einordnen.” wir sind mittlerweile bei honig versus “raffiniertem” zucker. ich muss an michael pollan denken, den us-amerikanischen journalisten und autor, der unter anderem 64 grundregeln essen und lebensmittel geschrieben hat und die ernährungswissenschaft massiv kritisiert als eine wissenschaft, die sich zum (selbst-) zweck erfunden hat, die an und für sich watscheneinfache angelegenheit essen zu akademisieren und so konsumentInnen und produzentInnen von ihrer expertise abhängig zu machen. ich habe mich ja schon einmal dazu bekannt, ihm grundsätzlich recht zu geben. jetzt kommt da aber eine weitere facette dazu: die dinge sind, wie sie sind, und nicht, wie michael pollan und ich sie gerne hätten. ernährungsinteressierte esserInnen haben nun einmal bereits (halb-) wissen angehäuft und stehen jetzt vor der schwierigkeit, es richtig einzuordnen. die kann ich nicht (mehr) abspeisen mit “denkt doch nicht darüber nach, sondern esst einfach aus dem bauch heraus, ohne drüber nachzudenken, dann habt ihr gute chancen, dass es gesund ist!”

da habe ich also an einem herrlichen herbsttag in rein privater mission berufliche bestätigung bekommen. meine expertise ist ganz und gar nicht obsolet, obwohl eine gute ernährung an und für sich eine ganz einfache angelegenheit ist, für die es keine expertInnen bräuchte. “deshalb ist es so wichtig, dass wir dich haben!” schloss c. die diskussion. und ich freute mich.

[bildnachweis: teil-screenshot der ja!-natürlich-website.]

hungrige milchkühe machen größere bissen.

hungrige milchkühe machen größere bissen.


landwirtschaft ist ein thema, das mich seit geraumer zeit schon und immer mehr beschäftigt. am dienstag habe ich bei einer herrlichen kulinarik-bio-landwirtschaft-crossover-veranstaltung wieder einiges über den boden dazugelernt. und das nicht von irgendwem, sondern von prof. winfried blum, einer internationalen boden-koryphäe. ich weiß jetzt zum beispiel neu, dass es dem bio-boden respektive den mikroorganismen in der humusschicht, die dafür verantwortlich sind, der pflanze die nährstoffe aufzuschließen, genau so geht wie mir: denen ist es in österreich mindestens ein halbes jahr lang zu kalt!

zur landwirtschaft gehört auch die tierische produktion, wie man so unschön sagt. und die ist mir eine der großen baustellen, weil ich, wie ihr jetzt eh schon alle wisst, sehr gerne fleisch esse, einen hohen milchkonsum habe und schlagobers in meinem leben nicht missen will. relativ gut informiert fühle ich mich in sachen fleisch. und da bin ich auch schon sehr glücklich, weil ich in den letzten eineinhalb jahren produzentInnen gefunden habe, von deren superheit ich mich mit hirn und herz überzeugt habe. milch ist noch ein ziemlich blinder fleck. den gehe ich jetzt also an.

am 26. september war die 20. tagung des freiland-verbands. den gibt’s seit 1987, und der war maßgeblich an der etablierung von tierhaltungsstandards im bio-bereich in österreich beteiligt. die tagung stand unter dem motto “die freiheit nutztiere gut zu halten“. leider war ich aus toskanischen weingründen nicht bei der veranstaltung, aber gestern habe ich den tagungsband durchgeackert. und ich sage euch, liebe mit-konsumentinnen und -konsumenten, wir haben so was von keiner vorstellung, was in der landwirtschaftlichen produktion alles passiert!

ganz besonders fasziniert hat mich prof. knaus’ (boku, department für nachhaltige agrarsysteme) beitrag mit dem titel “ist weidefütterung besser als stallfütterung?“. ich dachte bei der überschrift, dass das ja wohl eine sehr einfache frage wäre. natürlich ist weide besser als stall! weil auf der weide haben’s die kühe schöner, und weide ist besser für die klauen und fürs immunsystem und fürs tiergerechte verhalten und und und. auf der weide können kühe ihre genialität im hinblick auf unsere mensch-kuh-“symbiose” voll ausschöpfen: sie können gras verwerten, das für uns unverdaulich ist, und daraus für uns hochwertige lebensmittel machen (milch) oder sein (fleisch)! und nachhaltiger ist weidehaltung sowieso! so weit, so klar. dachte ich. dann las ich den ganzen text.

36 prozent der festlandoberfläche der erde sind landwirtschaftlich nutzbar, zwei drittel davon als weide-, ein drittel als ackerland. kühe wären aus den genannten gründen besonders super für die weidehaltung. bei milchkühen gibt es weltweit aus verschiedensten gründen allerdings die tendenz, sie das ganze jahr über im stall zu halten und ihnen (auch) kraftfutter zu geben. so viel, dass es dem kühlichen organismus mitunter zu viel wird; “bis an die grenzen des für den verdauungstrakt und die stoffwechselprozesse tragbaren”, schreibt prof. knaus. warum man das tut? weil sie mit kraftfutter mehr milch geben. der grund, warum weidende kühe die milchleistung der kraftfutter-kühe nicht schaffen, ist, dass sie es schlicht nicht derfressen. gras hat weniger kalorien als kraftfutter, zudem bewegen sich die kühe auf der weide natürlich mehr. (die schweizer gewinnerin des kuhmaratons, initiiert von bio suisse, brauchte zehn tage für die marathondistanz, d. h. sie geht pro tag im schnitt gut vier kilometer.) gut, sagte mein hirn beim lesen, dann fressen sie halt weniger kalorien und geben sie weniger milch! dann konsumieren wir einfach weniger, damit die kühe auf der weide stehen und glücklich sein können! aber so einfach ist das wieder auch nicht, lernte ich beim weiterlesen. denn die kühe, die als milchkühe im einsatz sind, sind hochleistungskühe. und hochleistungskühe sind gezüchtet, viel milch zu geben. stehen die jetzt auschließlich auf der weide, ohne kraftfutter, dann sind sie permanent hungrig. und dass hungrig-sein mit glücklich-sein nicht vereinbar ist, weiß ich aus eigener erfahrung. dennoch ist aus gesundheitlicher sicht die weidehaltung besser: “eine aufgrund von weidefütterung niedrigere milchleistung deutet nicht automatisch auf ein eingeschränktes wohlbefinden hin”. weidehaltung heißt übrigens nicht automatisch, dass sie nur auf der weide stehen, es gibt ja auch weide-stallhaltungsmischformen. lässt man kühe übrigens frei entscheiden, bevorzugen sie in der nacht die weide, und tagsüber den stall, insbesondere dann, wenn’s heiß ist. das taten sie zumindest in zwei studien im jahr 2009.

apropos studien. das hat mich auch sehr fasziniert: was in der landwirtschaftlichen forschung alles untersucht wird! da stellt man us-amerikanische holstein-kühe, die es gewohnt sind, im stall kraftfutter zu fressen, auf die weide, und neuseeländische holstein-kühe, die normalerweise weiden, in den kraftfutter-stall und vergleicht ihre milchleistung. da schaut man sich an, wie man eine weide managen muss, damit die kühe möglichst viel fressen (weil: je großer die fraß-, desto größer die milchleistung). und um herauszufinden, wie viel sie fressen, erhebt man die grasedauer (minuten/tag), die bissrate (anzahl der bissen/minute) und die bissgröße (gramm trockenmasse/bissen) (sic!). der entscheidende faktor ist, wer’s noch nicht gewusst hat, übrigens die bissgröße.

ich bin also fasziniert und wieder einmal überfordert. es liegt mir fern, zu bewerten, ich kann’s auch gar nicht, weil ich nicht ausreichendes landwirtschaftliches wissen dazu habe. die einzige wertung, die ich vornehme, ist, zu sagen, dass ich haltungsformen schlecht finde, die schlecht fürs tier sind. was aber gut oder schlecht für die milchkühe ist, dazu habe ich erst wieder keine abschließende meinung. aber es war einmal mehr sehr interessant, zu sehen, dass die welt weder schwarz noch weiß ist, auch nicht die der kühe. was das jetzt für mich und meinen milchkonsum bedeutet, weiß ich noch nicht.

[bitte um entschuldigung für die unpassende bildwahl. ich habe noch kein foto von glücklichen weidemilchkühen, deshalb müssen die glücklichen freilandhendln einspringen.]

quellenangaben:
geßl r. (hrsg.) 20. freiland-tagung. die freiheit nutztiere gut zu halten. eigenverlag, wien, 2013.
knaus w. ist weidefütterung besser als stallfütterung? im genannten tagungsband, s. 27–40.

der schlachthof: das tor zum himmel

der schlachthof: das tor zum himmel


Best Of Austria. So unbescheiden vermarkten Dani Wintereder und Fred Zehetner das Rindfleisch ihrer BOA-Farm. Was man zu sehen bekommt, wenn man sie besucht, könnte tatsächlich der Rinder-Himmel auf Erden sein.

[der text ist in der ernährung heute 2/2013, einem fachmagazin des forum. ernährung heute – verein zur förderung von ernährungskommunikation, erschienen.
blog-exklusiv sind die fotos. dazu achtung! sie sind teilweise blutig.
und da die boa-farm für mich ein absoluter rinder-vorzeigebetrieb ist, soll der text auch in die tierfreitag-sammelstelle.
an dieser stelle vielen herzlichen dank an dani und fred für den herzlichen empfang, die tollen einblicke und einen aufregenden tag auf eurer farm!]

Donnerstag, 23. Mai 2013, 8:15 Uhr. Wir biegen in eine Schotterstraße ein, sind auf dem Weg nach Mitterhof, Gemeinde Wildendürnbach, nördlichstes Weinviertel. Fuchs und Hase sagen einander hier gute Nacht. Und zwar nicht nur sprichwörtlich: Hasen hoppeln links und rechts der Straße, hier tauchen Rehe auf, dort ein Fasan. Und nach gut einem Kilometer endlich auch die Rinder. Deretwegen sind wir hier. Auf der BOA-Farm von Dani Wintereder und Fred Zehetner.

 BOA: Best Of Austria
„Best Of Austria Beef – mehr als nur Bio-Rindfleisch“, steht auf der Website. Da hat sich jemand die Latte sehr hoch gelegt! Wir wollen wissen, wie hoch. Fred Zehetner begrüßt uns mit einem kräftigen Händedruck. „Ihr wollt uns also heute beim Schlachten helfen? Na, dann suchen wir einmal Gummistiefel für euch!“ Wir trinken dann doch zuerst einmal einen Kaffee und bereiten uns geistig vor. Plaudernd sitzen wir am großen Esstisch im ehemaligen Stadl, durch die großen Fenster beobachten wir die Rinder auf der Weide. „So haben wir uns das immer vorgestellt“ fängt der Hausherr an zu erzählen. Es dauert keine fünf Minuten, um die Leidenschaft zu erkennen, mit der Fred Zehetner und Dani Wintereder ihren Beruf leben.

Kompromisslos und ein bisschen verrückt
Vor über 20 Jahren legte der Oberösterreicher den Grundstein für den Betrieb. Der gelernte Fleischer übernahm als 21-Jähriger die Fleischerei mit 25 Angestellten von seinem Vater. Nach einem Jahr übergab er sie seiner Schwester und ging in eine Landwirtschaftsschule. „Ich wollte immer Bauer werden!“ Nach einem Jahr stieg er aber auch dort aus, weil er nicht lernte, was er wissen wollte. Es folgte ein Abstecher auf die Universität, Sportwissenschaften und Pädagogik, daneben arbeitete er in einer Fleischerei für Großkunden. Und startete endlich das Bauer-Sein: mit drei Galloway-Kühen und einem Stier, die er zunächst bei einem befreundeten Bauern eingestellt hatte, wo sie allerdings nicht lange bleiben konnten. Und dann war er das erste Mal zur rechten Zeit am rechten Ort. Eines ergab das Andere, und binnen zwei Wochen hatte er 14 ha Grund in der Nähe von Salzburg gepachtet, das Studium aufgegeben und war endlich „richtiger“ Bauer. 1993 folgte die Bio-Zertifizierung. Damals war der Betrieb ein reiner Zuchtbetrieb.
Vor 15 Jahren stieß Dani Wintereder dazu. Sie ist ausgebildete Landwirtin, hat die HBLA für Land- und Ernährungswirtschaft Elmberg absolviert und sich in zahlreichen Praktika in Schottland, den USA und vor allem Kanada „bei den besten Lehrern“ umfangreiches Wissen über Galloway- und Aberdeen Angus-Rinder angeeignet.
Ins Weinviertel verschlug es die beiden 2003. Das war einerseits gewollt, denn dort, wo sie jetzt sind, ist es trocken und es gibt jede Menge Stroh – optimale Bedingungen für ihre Rinderzucht. Andererseits waren sie einmal mehr zur rechten Zeit am rechten Ort: Ein Adeliger verpachtete ihnen 300 ha Fläche, weil, so erzählt Fred Zehetner mit schelmischem Grinsen, er meinte, ihre Idee wäre so verrückt, dass sie funktionieren könnte. Und sie funktionierte: 2006 kauften sie das Land, heute stehen rund 650 Rinder auf den Weiden an der Grenze zur Tschechien. 2008 wurde das „Kuhhotel“ eröffnet, die Stallungen, in denen die Tiere den Winter verbringen. Im Dezember 2012 ging schließlich der farmeigene Schlachthof in Betrieb.

Galloway und Aberdeen Angus
Mit Galloway-Rindern fing alles an, seit 2003 wächst die Aberdeen Angus-Herde – natürlich aus guten Gründen: Beide Rassen kommen aus dem angloamerikanischen Raum, sind Fleischrassen mit hervorragender Qualität und von Natur aus hornlos, weshalb das umstrittene Thema Enthornung gar nicht erst diskutiert werden muss. Galloways sind extrem robust, hervorragende Futterverwerter und äußerst friedlich, das prädestiniert sie für die Weide- und Mutterkuhhaltung. Sie haben ein doppeltes Haarkleid, das sich optisch als schafähnlich äußert, allerdings rötlich braun. Aberdeen Angus hingegen sind schwarz und glänzend. Beim Züchten wird scharf selektiert, besonderes Augenmerk legen die Wintereder-Zehetners auf „Leichtkalbigkeit“: Das ist der Grund, weshalb in 99 % der Fälle die Kühe ihre Kälber ohne menschliche Hilfe zur Welt bringen. Nachwuchs entsteht teilweise auf natürlichem Weg, teilweise durch künstliche Befruchtung. Letzteres ist nötig, um regelmäßig neues Genmaterial in die Herde einzubringen. Männliche Kälber mit Bestimmung Fleisch werden im Alter von einem Monat unter Betäubung kastriert, weshalb das BOA-Beef ausschließlich von Ochsen und Kalbinnen stammt.

Die Philosophie: „Das Glück der Tiere isst man mit.“
Das Angebot der BOA-Farm umfasst heute Zuchtrinder sowie Frischfleisch vom Rind. Darüber hinaus gibt es Hundefutter aus den Resten der Fleischverarbeitung und seit kurzem Schweinefleisch – übrigens dieselben Rassen wie am Labonca-Biohof (siehe eh 4/2012), und das ist kein Zufall, sondern die Folge eines Erfahrungsaustauschs zwischen den beiden Landwirten.
Hinsichtlich der Qualität herrscht Kompromisslosigkeit: Sowohl die Zuchttiere, als auch das Fleisch müssen den Qualitätsstandards der Wintereder-Zehetners gerecht werden. Und die gehen weit über gesetzliche Vorgaben, wie die Bio-Verordnung, hinaus. Dass der Betrieb biologisch wirtschaften muss, war für Fred Zehetner von Anfang an keine Überlegung, sondern logische Konsequenz: Ackerbau braucht Dung, also Viehhaltung, und die Viecher brauchen Futter – Kreislaufwirtschaft, wie sie im Buche steht, wird auf der BOA-Farm praktiziert, zum Teil in Kooperation mit dem Hofnachbarn. Was die Philosophie der BOA-Farm aber am stärksten auszeichnet, ist der Respekt gegenüber den Tieren. Ihr Wohlbefinden steht im Zentrum. Deshalb leben und fressen die Rinder drei Jahreszeiten ausschließlich auf der Weide, mit Flächen von 0,5 ha pro Tier. Den Winter verbringen sie im „Kuhhotel“ genannten Stall, einem teilweise überdachten Areal mit reichlich Stroh-Einstreu, auf dem jedem Tier fast 40 m² zur Verfügung stehen. In dieser Zeit fressen sie Heu, Grassilagen und Stroh. Getreide, Mais oder Soja stehen nie auf dem Speiseplan. Deshalb leben die Kälber in Mutterkuhhaltung und trinken mindestens acht Monate lang Muttermilch. Deshalb wird stressfrei geschlachtet. Und deshalb erhielt die BOA-Farm 2012 den Bundestierschutzpreis von Gesundheitsminister Stöger.
Der Respekt gegenüber den Tieren geht so weit, dass die Wintereder-Zehetners zunehmend auf die Vermarktung von Fleisch statt den Verkauf von Zuchttieren setzen. Letztere landen nämlich nicht immer in Bedingungen, wie die BOA-Farmer sie gerne hätten. Auf ihrem eigenen Betrieb könnten sie ihnen dagegen optimale Gegebenheiten bieten. Deshalb sei es ihnen am liebsten, die Tiere blieben von der Geburt bis zum Tod bei ihnen. Einen eigenen Schlachthof zu errichten, war da wieder nur eine logische Konsequenz.
Der Erfolg scheint ihnen übrigens Recht zu geben. Inserate hätten sie nie geschaltet – „das Produkt muss die Werbung sein, nicht das Hochglanzprospekt!“ – doch mittlerweile sind sie der größte Zuchtbetrieb Österreichs, verkaufen ihre Zuchttiere europaweit, Rindersamen sogar in alle Welt.

Stressfreies Schlachten und hohe Fleischqualität
Wir haben mittlerweile die Gummistiefel an und befinden uns im Schlachthof. Wobei „Schlachthof“ ein viel zu großes Bild suggeriert. Es ist eher ein Schlachthaus in der Dimension eines kleinen Bungalows, in dem Fred Zehetner und sein Fleischerei-Mitarbeiter üblicherweise ein bis drei, maximal jedoch fünf Tiere pro Woche schlachten. „BOAs Gate Heaven“ nennen sie das Gebäude ihrer Diktion treu bleibend. Den Tötungsprozess haben wir miterlebt, und wir können jetzt nachvollziehen, warum sie das Schlachten als „stressfrei“ bezeichnen: Das Tier wirkt bis zum Betäubungsschuss vollkommen entspannt. Den Todesstoß, also das Durchschneiden der Halsschlagader, spürt es nicht. Auch nicht das Ausbluten. Der Fleischermeister gibt dem Tier Zeit. „Wir lassen es aushauchen.“
Dafür geht danach alles schnell: Zuerst bindet er die Speiseröhre ab, damit der Reflux aus dem Magen nicht das Fleisch kontaminiert. Dann beginnt er, dem Tier das Fell abzuziehen. Das wird später abgeholt und zu Leder verarbeitet. Wir können gar nicht so schnell schauen, haben wir Messer in der Hand und die Anweisung, mit dem Häuten weiterzumachen, dabei aber auf keinen Fall die Fettschicht zu verletzen, die während des Reifens das Fleisch schützt.
Apropos Reifen. Auf der BOA-Farm ist man nicht nur kompromisslos in Sachen Respekt gegenüber dem Tier, sondern auch in Sachen Fleischqualität. Aberdeen Angus und und Galloways sind bekannt dafür, zartes, gut marmoriertes, schmackhaftes Fleisch zu haben. Die Haltung und Schlachtung tragen das Ihre zur herausragenden Qualität bei: Die Tiere werden im Alter von zirka zwei Jahren geschlachtet, nicht wir herkömmlich mit 17–19 Monaten, da die Geschmacksbildung erst ab 18 Monaten erfolge, erläutert Fred Zehetner. Mais und Getreide verfüttere er auch deshalb nicht, weil das geschmackloses Fleisch ergebe, im Gegensatz zu dem aromatischen, das Gras und Kräuter fressende Weiderinder ausbilden. Das entspannte Schlachten sei überhaupt der Knackpunkt: „Wenn das Tier beim Schlachten Stress hat, machst du dir die ganze zu Lebzeiten aufgebaute Qualität zunichte.“ Dass die BOA-Farm ausschließlich gereiftes, gut abgehangenes Fleisch verlässt, muss wohl nicht extra erwähnt werden. Vielleicht noch das: Der Fleischermeister lagert die Rinderhälften im so genannten Tender-Stretch-Verfahren, eine spezielle Art der Aufhängung der Schlachtkörper, die das Fleisch zarter macht, aber mehr Platz benötigt, weshalb es in industriellen Schlachthöfen nicht angewendet wird.
Zu Fred Zehetners und Dani Wintereders Verständnis von Qualität gehört auch die Vermarktung. In fünf Radatz-Filialen in Wien gibt’s BOA-Beef zu kaufen, einige Restaurants servieren es, sonst bekommt man es ausschließlich ab Hof zu bestimmten Terminen (Infos auf www.galloway.at, Menüpunkt „Genuss“). Auch das hat natürlich einen Grund: Nähe zum Kunden und Zeit. Wer auf die BOA-Farm einkaufen kommt, sollte letzteres mitbringen. Für ersteres sorgen der Herr und die Frau des Hauses: Verkauft wird hier nicht über eine Theke, sondern an einem Tisch, einem großen Holztisch, der normalerweise als Esstisch dient. Dazu gibt es Tipps und Geschichten. Definitiv Slow Food!

Wirtschaftlich rentabel
Dass sie zunehmend Fleisch statt Zuchttiere verkaufen, hat auch ökonomische Gründe. Während es in den USA gang und gäbe sei, dass ein guter Deckstier eine stattliche Summe kostet, sehe man das hierzulande ganz anders, erläutert Dani Wintereder. Da die Schlachtung und Zerlegung der Rinder am Betrieb stattfindet, die Wertschöpfung also im Haus bleibt, lässt sich mit dem Fleischverkauf ausreichend verdienen. Selbstverständlich bei entsprechenden Preisen: € 60 pro kg kostet beispielsweise das Filet, € 28 der Tafelspitz, € 18 das Gulaschfleisch und € 9 das Faschierte, alle Preise ab Hof. Auch hier zeigt sich Fred Zehetner kompromisslos. Einkommen will er über beste Qualität erzielen, nicht über die Menge. „Wenn du mit dem Preis hinaufgehst, regelt sich der Markt von selber.“
Der Betrieb scheint gut zu laufen. Möglicherweise auch deshalb, weil die Wintereder-Zehetners sich dem Wachstumsdiktat bewusst verweigern. Das demonstrieren schon die baulichen Gegebenheiten. „Wir haben das Schlachthaus hier hereingezwickt und nicht auf die freie Wiese gestellt, weil wir auf gar keinen Fall erweitern wollen“, sagt der Hausherr. Es ist außergewöhnlich, auf diesem Hof beschwert man sich nicht einmal übers Steuerzahlen: „Der größte Feind eines kleinen Betriebes ist die Steuerlogik. Wenn’s gut läuft, soll man investieren, damit man weniger Steuern zahlt. Es ist doch kein Verbrechen, dem Finanzamt Geld zu geben!“
Dani Wintereder fasst das Erfolgsrezept so zusammen: Fachliche Qualifikation in einer tollen Kombination (sie: Zuchtexpertin, er: Fleischermeister), die gemeinsame Leidenschaft für eine Sache, Mut zum Risiko, den Vorteil des Quereinstiegs, also keinen Hof übernehmen zu müssen, keinen familiären Traditionen verhaftet zu sein, keine alten Denkmuster mitzuschleppen. Und eine gehörige Portion Glück. Und dass Manfred Buchinger vom Gasthaus zur Alten Schule in Riedenthal einer der ersten Überzeugten war, hat sicher auch nicht geschadet.

Fazit
Die BOA-Farm ist ein schönes Beispiel dafür, wie Rindfleischproduktion optimal ablaufen kann: Extensive Weidehaltung, bei der das Rind nicht in Nahrungskonkurrenz zum Menschen steht, sondern idealtypisch als Veredler von für den Menschen Unverdaulichem fungiert. Tiergerechte Lebensbedingungen. Stressärmstes Schlachten. Hervorragende Fleischqualität. Und eine Betreiberfamilie, die herausragende Leidenschaft und eine sympathische Portion Kompromisslosigkeit einbringt. Mehr solcher Betriebe, bitte!

Literatur
Statistik Austria: Versorgungsbilanzen 2011. www.statistik.at/web_de/statistiken/land_und_forstwirtschaft/preise_bilanzen/versorgungsbilanzen/index.html#index2 (Zugriff am 27.5.2013)
Statistik Austria: Agrarstrukturerhebung 2010. Zugriff auf die Daten via statcube.at (27.5.2013)
BMG: Bundestierschutzpreis 2012. http://bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Tiergesundheit/Tierschutz/Bundestierschutzpreis/ (Zugriff am 27.5.2013)

 

prost, opa! – ein essensbiographischer nachruf

prost, opa! – ein essensbiographischer nachruf


dieser blogeintrag ist in memoriam meines großvaters, der heute seinen 102. geburtstag feiern würde. er ist vorigen mai gestorben.

kurz danach war ich bei einem symposium zum thema selbst- und fremdbestimmung des essens (übrigens vom selben veranstalter wir das heurige symposium zum wert von lebensmitteln, siehe eintrag vom 6. juni). während ich lauschend und denkend im auditorium saß, ist mir aufgefallen, dass mein großvater und seine essbiografie fremd- und selbstbestimmung des essens sehr schön widerspiegeln.

essens- und kochmäßig hat mich ja die oma stark geprägt, die ihr ja mittlerweile vom foto schon recht gut kennt. die lebensfreude habe ich eindeutig vom opa gelernt! er war ein ganz wichtiger mensch für mich. meine eltern waren zu meiner vorkindergartenzeit beide berufstätig, die oma war zu hause, und der opa und ich waren auf achse. stundenlang. im selbstgebastelten ziehwagerl oder im geliebten zwoaradla saß ich, der opa schob oder zog. immer wieder landeten wir im wirtshaus. oder beim karteln bei herrn s. „nur mehr ein bummerl!“ ist seither mein inbegriff für ewigkeit! dazu gab’s bei herrn s. zähe soletti und einen stinkenden pudel. ok, das gehört nicht zu den highlights. dagegen schon: von der lokalen bäckerei (heute zu haubi’s großgeworden) die alten briochestriezel holen, um sie an die enten und puten am haubenberger-teich zu verfüttern. und auf der fahrt dorthin alle rosinen herauspicken und selber essen.

aber ich wollte ja eine essbiografie schreiben! der großvater wurde 1911 als ältester von vier buben in einem dorf im niederösterreichischen mostviertel geboren. kindheit, jugend und frühes erwachsenenalter waren geprägt vom mangel. viele seiner lausbubenstreiche, die er uns als kinder immer und immer wieder erzählen musste, handeln vom lebensmitteldiebstahl: kirschen hier, äpfel dort, wenn man erwischt wurde, gab’s schläge und scheitlknien. butter oder gar fleisch hingegen gab’s nur zu feiertagen. mit ungefähr 14 gaben ihn seine eltern als knecht zu einem bauern. jeder hungrige magen weniger zu hause war eine erleichterung. nur zum wochenende durfte er heim. bei diesem und allen folgenden bauern gab es einfaches essen: viele erdäpfel, viele bohnen, brot, viel gemüse, obst, wenn’s reif war. diese einfache, regionale, saisonale ernährung sollte der opa sein ganzes leben lang beibehalten. nur mit einem konnte man ihn bis zum schluss jagen: most. weil most standardgetränk bei den bauern war – das brunnenwasser war oft nicht sauber genug – und immer hantig, oft essig und häufig schimmlig. seine ernährung war also weitgehend fremdbestimmt, nicht so sein leben: wenn man mit ihm in sein heimatdorf fuhr, behauptete er bei jedem bauernhaus im umkreis von zehn kilometern, fensterln gewesen zu sein …

28 war der großvater, als der zweite weltkrieg begann. aus der zeit weiß ich verhältnismäßig wenig, seine erzählungen waren nie chronologisch, mitunter so spektakulär, dass wir uns fragen mussten, ob sie überhaupt wahr sein könnten, und immer überdeckt von der dicken haut, die er sich wachsen hatte lassen, um vor allem seelisch zu überleben. dass die kriegsjahre mangeljahre waren, dass die ernährung ganz besonders fremdbestimmt war, daran ist aber kein zweifel. die wärmsten worte fand der opa immer für jene bauern, die ihn auf der reise nach hause nach der gefangenschaft in ihre stuben baten und aufpäppelten. bis zu seinem tod erwähnte er immer und immer wieder, was da für feine menschen darunter gewesen wären.

nach dem krieg wurde geheiratet und eine familie gegründet. der großvater, stets arbeitsam und ein tausendsassa, wurde teil des wirtschaftsaufschwungs der nachkriegszeit: man konnte sich ein feines, angenehmes leben leisten. essen wurde – zumindest finanziell – selbstbestimmt. interessanterweise schlug sich das aber kaum in der ernährung nieder. möglicherweise ist es meine subjektive kindliche erinnerung, aber bis auf die obligatorische braunschweiger, die der opa oft zur abendjause aß, gab’s fleisch und wurst im haushalt meiner großeltern weiterhin relativ selten. die oma hatte ein hausgartl und kochte, was darin reif war: kochsalat mit erbsen, eingebrannten kohlrabi, dillsoße mit semmelknödel, … das waren als kind meine lieblingsspeisen! linsen, erbsen, bohnen gab’s auch oft (linsen mit semmelknödel war meine überhaupt-lieblingsspeise!).

interessant finde ich auch, wie der großvater gegessen hat. ich glaube, behaupten zu können, dass er niemals in seinem leben hinterfragt hat, warum er etwas aß. er aß alles, war nie heikel, hatte wohl seine lieblings- und nicht-so-lieblingsspeisen. aber gegessen wurde, was auf den tisch kam. und er konnte genießen, oh ja! mit größtem vergnügen verspeiste er zu festtagen ein bratl, und da die schwartln aller drei enkelkinder zusätzlich zu seinen eigenen, und hinten nach eine gallige cremetorte. mit unhinterfragter selbstverständlichkeit verweigerte er dann am abend das nachtmahl, aß nur ein paar “zweschpm” oder eine „bamarantsche“, weil “i hob do koan hunga noch dem mittagessn!”. er liebte den alkoholgenuss, ohne jemals gefahr gelaufen zu sein, zum alkoholiker zu werden. sein lieblingsgetränk war roter (sic!) spritzer. auch das eine form der selbstbestimmung, finde ich. wer trinkt schon roten spritzer? der großvater verstand es, zu feiern! jede gesellschaft konnte sich glücklich schätzen, ihn zu gast zu haben. er scherzte und tanzte und witzelte und unterhielt stets die ganze runde. entsprechend oft wurde er eingeladen. bis zu seinem zirka 90er war es keine seltenheit, dass er spätnachts mit einem ordentlichen „duliöh“ heimkam. er hätte doch nur „kindermüchgaugau“ getrunken, erklärte er uns einmal, als wir ihm beim ins-bett-gehen helfen mussten (die motorik war dann doch nicht mehr die eines 30-jährigen). und auch diese form der maßlosigkeit kompensierte er immer: tags darauf wurde gearbeitet oder – im höheren alter dann – geruht.

apropos 30-jähriger. der hausarzt bescheinigte ihm bis weit über 90 blutwerte eines jungspunds. tatsächlich war sein cholesterinspiegel sensationell, er hatte nie „zucker“, und übergewichtig wurde er erst in seinen letzten lebensjahren ein bisschen, als er nicht mehr radfahren und den ganzen tag auf achse sein oder in seiner werkstatt herumbasteln konnte. es war ihm gar nicht recht, dass er auf seine alten tage noch „wampert“ wurde! denn eitel, oh ja, das war er! legte großen wert auf schöne kleidung (ich bin mehrmals mit ihm anzug einkaufen gefahren. das durfte nur ich!), und sein gescheiteltes weißhaar musste zu besonderen anlässen mit haarspray fixiert werden. „pfugazen“ nannte er das sprühen, und eine dose haarspray musste stets auf seinem allibert bereitstehen, andernfalls er flugs jemanden einkaufen schickte.

gegen ende seines lebens war nahrungsverweigerung sein letztes mittel der selbstbestimmung. ich erinnere mich, wie ich – frisch zurück aus mosambik, den sterbenden großvater vor mir und selbst noch komplett neben mir – bei ihm im bett gesessen bin und ihm pfirsichkompott gefüttert habe. das hat er gegessen! sonst hat ihn über die letzen wochen seines lebens hauptsächlich eine spezialnahrung, eigentlich sondennahrung, gerettet. allerdings nicht über eine sonde, sondern in seinem riesen-lieblingshäfen, in dem er sich zuvor immer frühstückssemmel, -briochekipferl oder kuchenreste in den milchkaffee „eingebrockt“ und ausgelöffelt hatte. sondennahrung ist bilanzierte diät, das heißt sie ist nährstoffangereichert. so sehr, dass sie als einzige nahrung ausreichen könnte. es gibt sie unter anderem in der geschmacksrichtung kakao, leider nicht in milchkaffee. aber kakao war für den großvater auch ok. so ernährte er sich also wochenlang fast ausschließlich von briochestriezel, in sondennahrungskakao eingebrockt und ausgelöffelt. gelöffelt freilich längst nicht mehr von ihm selbst, sondern von der mutter, den damen von der caritas oder eben auch von mir. alles andere verweigerte er immer öfter. mit einer ausnahme: zwei monate vor seinem tod, er war da schon bettlägrig und es ging ihm gerade sehr schlecht, kam ich nach hause, auf das schlimmste gefasst. wir standen abends um sein bett und plauderten, plötzlich verlangte er nach tee. mit folgendem nachsatz: “owa an g’scheitn!” diesen wunsch erfüllte ich ihm gerne! was sollte schon sein? der rum hätte sich nicht mit den schmerzmitteln vertragen können. ja, und? wenn mein sterbender opa tee mit rum will, dann soll er tee mit rum kriegen! fand ich. fand die ganze familie. finde ich auch heute noch. und nix hat er ihm getan! im gegenteil! er hat zwei häferl quasi ex via strohhalm genommen und dann richtig gut geschlafen.

gestorben ist er am pfingstwochenende, als die ganze familie zu hause war. man kann davon halten, was man will,  ich glaube, dass auch der zeitpunkt seines todes ein bisschen selbstbestimmt war. dem opa war es immer die größte freude, alle um sich zu haben. gegen ende hin kam dazu die angst, allein zu sein. am samstag waren wir noch feiern, den geburtstag einer tante. angesichts seines lebenswandels hielten wir es nicht für pietätlos, zu feiern, während sich sein leben dem ende zuneigte. am abend verabschiedeten wir uns von ihm, vor dem schlafengehen flüsterte jede/-r von uns ihm seine/ihre abschiedsworte ins ohr. in der morgendämmerung, in der er so oft erst vom fortgehen nach hause gekommen war, schlief er dann zum letzten mal ein …

dass ich ihn dann noch rasierte, wir ihm seinen lieblingsanzug, krawatte und die tanzschuhe anzogen, und natürlich die haare mit spray pfugazten, das war unsere letzte verbeugung vor seiner selbstbestimmten eitelkeit.

danach verbeugten sich übrigens noch ganz viele leute mehr. die kunde von seinem tod verbreitete sich in windeseile. und frühmorgens standen schon die ersten kondolenzbesucher vor der tür. als sie den herausgeputzen leichnam des großvaters sahen, waren sie bewegt von dem, was er immer noch ausstrahlte: ruhe, kraft, würde, zufriedenheit, ja, sogar fröhlichkeit. es fällt mir schwer, es in worte zu fassen, aber es war ein schöner anblick. in rücksprache mit dem bestatter beschlossen wir, den großvater bis am abend zu hause zu behalten. in seinem wohnzimmer. auf dass, wer sich verabschieden kommen wollte, die gelegenheit dazu hätte. es kamen viele leute. und es war jedes mal dasselbe: tief bewegt gingen sie wieder. der tag, an dem der opa starb, war einer der bewegendsten meines lebens. es war sein tag, es ging um nichts als um ihn. ähnlich wie an seinem 100. geburtstag, aber ruhiger, trauriger, endgültig.

prost, opa! du fehlst mir!

großvater