das kind und das schlachten, teil 1

das kind und das schlachten, teil 1


dass fleisch eines der themen ist, die mich beruflich wie privat am meisten beschäftigen, ist nichts neues. und kaum kehrt wieder ein bisschen normalität ein, geht’s schon wieder darum!

ich gehöre ja zu den menschen, die der meinung sind, dass der mensch tiere nutzen und auch töten darf, wenn er sich darum kümmert, dass die bedingungen während des lebens und rund ums sterben des tieres dessen bedürfnissen gerecht werden bzw. so wenig schlimm wie möglich sind.

seit ich ein kind habe, also seit fünf jahren, kommt ein weiterer aspekt dazu: wie viel tötung kann und darf ich meinem kind zumuten? es macht mir große freude, zu sehen, wie sich mein kind selbst immer weiter an das thema herantastet. natürlich beeinflussen wir eltern es da! wir reden oft und gerne von fleischlichen genüssen, und dass da auch schlachten dazugehört, daraus haben wir nie einen hehl gemacht. unser kind redet davon, dass es gerne hendln halten würde, weil wir dann jeden tag frische eier hätten. es stellt sich aber auch vor, wie aus eiern flauschige küken schlüpfen, um recht bald beim “mmmmhhh, die können wir dann essen!” zu landen. dass der weg übers schlachten führt, ist dem kind bekannt: “da müssen wir dann die a. [eine dem kind gut bekannte arbeitskollegin von mir, nutztierwissenschaftlerin und hendl-schlachtungsauskennerin, anm.] fragen, dass sie uns zeigt, wie man die schlachtet.”

wie präsent das thema bei uns ist, ist mir kürzlich bewusst geworden, als das kind bei einem au-regen-spaziergang fragte, ob man auch weinbergschnecken schlachten könne. mich freut das, ja! denn ich esse gerne fleisch, mein mann isst gerne fleisch, und auch das kind isst gerne fleisch. für uns erwachsene ist qualitität dabei ein entscheidendes kriterium, und seit ein paar jahren stehlen wir uns nicht mehr um die themen schlachtung und nose to tail herum, sondern stellen uns ihnen (kann hier im blog nachverfolgt werden). dass unser kind mit dem verständnis aufwächst, dass fleisch nicht nur gut schmeckt, sondern anständig produziert worden sein muss, und dass dem fleischkonsum auch ein tötungsakt vorausgehen muss, ist uns wichtig. und deshalb freue ich mich, dass das bei unserem kind ankommt. und gleichzeitig freue ich mich, dass ich diesen prozess, wie das ankommt, hautnah miterleben darf!

in den letzten tagen gingen wir wieder einige große prozessschritte: zwei allerliebste menschen, die in kürze bio-bäuerInnen werden, haben ein schwein geschlachtet, das auf ihrem zukünftigen hof eingestellt war. wir hatten uns, als wir das spitzgekriegt hatten, sofort um ein halbes schwein angestellt. das schlachten vor ein paar tagen haben wir (noch) ausgelassen, aber gestern sind wir – vater, mutter, kind – in allerschönster feierlaune aufgebrochen, um unser halbes schwein zu holen. auf der fahrt hin kam schon die frage: “wie wurde das geschlachtet?” die zukünftige bio-bäuerin konnte sie kurz darauf beantworten: es wurde mit gekochten erdäpfeln, die es zu lebzeiten liebend gerne gefressen hatte, aus dem stall gelockt. dann hat der altbauer ihm, während es fraß, mit einem schussapparat ins hirn geschossen, und es ist sofort umgefallen und hat nichts mehr gespürt. dann hat der bauer mit einem großen messer in den hals gestochen und das blut herausrinnen lassen. so ist das schwein gestorben.” das kind lauschte andächtig und zunächst stumm. die fragen kamen erst heute: “hat das dem schwein wehgetan, als der bauer ihm ins hirn geschossen hat?” (ja, kurz schon, aber der schuss ist wie eine narkose, da spürt das schwein kurz einen schmerz, und dann aber nichts mehr.) und “war es da dann gleich tot?” (nein, gestorben ist es erst, als der bauer ihm in den hals gestochen hat und das blut herausgeronnen ist.) nichts davon hat das kind irritiert, und ich maße mir an, das als mutter beurteilen zu können.

vielmehr hatte es große betriebsamkeit, wissensdurst und einige aha-erlebnisse beim zerteilen:
“so groß ist ein herz?! ist das beim menschen auch so groß?”
“ich möchte gerne den sauschädel noch einmal sehen!” (der war besonders faszinierend, weil der länge nach geteilt, weshalb man das innere betrachten konnte: zähne, gaumen, rüssel.)
“ich konzentriere mich jetzt auf die leber und die lunge, weil die spüren sich so gut an!” (siehe foto)
“die leber riecht auch so gut!”
“darf ich die sackerl mit dem blut auswaschen?”

so war das also heute ein festtag:

mit viel demut, die sich in uns breitgemacht hat, als wir unzählige sackerl mit bestem schweinefleisch – selbstverständlich nose to tail! – befüllt, beschriftet, für die weitere verarbeitung vorgesehen und dann eingefroren haben;

mit kulinarischem genuss oder, sagen wir ehrlicherweise, interesse an sauren nierdln und leber, dieses mal im ganzen gebraten (wir hielten uns rezeptemäßig an max stiegls und tobias müllers buch sautanz, siehe foto);

mit viel freude, dass unser kind mit großer neugierde und ohne emotionalen schaden zu nehmen dabei war (und sogar die innereien gekostet hat);

und mit der bestätigung, dass wir in der schule des essens den richtigen weg gehen: kinder und lebensmittel gehören zusammengeführt, und zwar vor allem in der küche, auf dass aus den kindern genussbegabte, qualititätsaffine, kompetente und auch gesunde esserInnen werden können!

wissenschaftsliebe

wissenschaftsliebe


leben ist das, was passiert, während du fleißig dabei bist, andere pläne zu schmieden, sagte angeblich john lennon. das ist in meinem leben eigentlich eh dauerzustand, in den letzten monaten halt noch verschärft.

2020 wird also ganz anders. und ich ertappe mich mitten in der corona-krise immer wieder in einem zustand der freude. heute ist mir das licht aufgegangen, warum das so ist. es liegt an meiner neugierde, an meiner wissenschaftsliebe, an meinem unstillbaren wissensdurst.

schon lange nicht mehr habe ich ein feld betreten, das gleichzeitig mir, aber auch einschlägigen expertInnen so neu war. ich kann forschung sozusagen fast in echtzeit miterleben, und das finde ich wahnsinnig aufregend!

seit ende februar ziehe ich mir die wissenschaftlichen neuigkeiten hinein. warum “flatten the curve”, “the hammer and the dance”, das ndr-corona-update mit christian drosten, perspectives on the pandemic mit john ioannidis, mit zunehmender pandemie-dauer auch die sich mehrenden kritischen stimmen wie jene von martin sprenger (z.b. hier, hier oder hier). und, weil mich aus gegebenem anlass die rolle der kinder in der corona-krise besonders beschäftigt, die beiträge des von mir schon seit jahren immer wieder virtuell zu rate gezogenen kinderarztes und wissenschaftler herbert renz-polster.

was ich dabei bemerkt habe:

  1. niemals hat mich panik ergriffen, angst hatte ich selten. einmal mehr in meinem leben ist für mich viel wissen die bessere strategie.
  2. ich brauche extra viel ambiguitätstoleranz, die ist für mich überhaupt zur kardinaltugend während corona geworden. ganz am anfang, als die pandemie in österreich angekommen war, war ich mir noch recht sicher, was das richtige zu tun wäre. mit der zeit warf das mehr an wissen aber auch immer mehr fragen auf. wer hat recht? wer unrecht? irgendwann war ich bei der überzeugung angelangt, dass viele berechtigte und auch richtige meinungen nebeneinander stehen dürfen und müssen. entweder, weil die wissenschaft das eindeutige richtig oder falsch noch nicht erforscht hat, oder weil sie aus unterschiedlichen disziplinen stammen, die unterschiedliche messgrößen für richtig oder falsch anwenden. das auszuhalten, fällt mir nicht leicht, halte ich aber für alternativlos.
  3. die wissenschaftlerInnen, die meine hauptinformationsquellen sind, bekriegen sich nicht, auch dann nicht, wenn sie nicht einer meinung sind. das tun nur die leute, die sie (richtig oder falsch) zitieren (benutzen?). ich staune jeden tag, was und vor allem wie in sozialen medien gefetzt wird! die von mir geschätzten wissenschaftlerInnen pflegen einen stil, der von gegenseitigem respekt für kollegInnen getragen ist, und von dem glauben, dass, zitat john ioannidis: “[…] science is the best thing that we have as humans to guide us” (hier ab ca. 54:00).

so möge uns also die wissenschaft durch diese krise leiten. oder jedenfalls die basis dafür liefern. und mir dabei freude am lernen bescheren.

[photocredits: screenshot aus dem youtube-video mit john ioannidis]